Als Hannes Rainer aus Ratschings in Südtirol seinen achzehnten Geburtstag feiert, erfüllt er sich einen lang gehegten Traum. Während andere in seinem Alter ihr Gespartes in einen Gebrauchtwagen stecken, hat Hannes seine eigenen Vorstellungen von Fortbewegung. Er kauft sich sein erstes eigenes Pferd.
Eine sanfte Reise von A nach B spielt für den Hotelier und Koch auch heute noch eine große Rolle. Die Pferdezucht hat sich erweitert, vor der Haustüre stehen e-Bikes und ein schnittiges Elektroauto der Marke Tesla. Und in seinem Naturhotel Rainer hilft der Südtiroler heute dem einen oder anderen Manager aus Mailand, vom Gaspedal zu steigen.
Anstatt seine Gäste durch einen Erlebnisurlaub zu hetzen, spricht Hannes mit den Ankömmlingen über ihre Bedürfnisse und richtet sich nach dem Wetter. Gerne nimmt er sie auf Wanderungen zur eigenen Alm mit. „Aber dabei geht es nicht darum, wer der schnellste am Berg ist“, macht Hannes klar. Die Leute müssen lernen, einen Gang zurückzuschalten. Und zwar genauso in der Natur als auch im Hotelzimmer, wo bewusst und auf Wunsch vieler Gäste auf WLAN verzichtet wird.
Um richtig zu entspannen, hilft für Hannes nur eines: Den Laptop an der Rezeption abgeben, die Wanderschuhe zuschnüren, und raus in die reiche Natur Ratschings zu gehen. Wellness gehört nicht in den Hotelkeller. Lieber geht Hannes vier Stunden mit den Besuchern in den Wald. Lässt sie das Moos unter den Zehen spüren. Die Waldstille füllt sich dann mit dem Rauschen des Bachs und mit Vogelgezwitscher. „Der Wald ist für uns die Zukunft. Dort ist Leben, dort kann man Kraft schöpfen.“
Das hat er auch selbst so erfahren. Bis er 14 Jahre alt war, verbrachte er jeden Sommer auf der Alm, hütete Ziegen, machte Käse, stand mit der aufgehenden Sonne auf und ging bei Sonnenuntergang schlafen. „Damals wurde der Grundstein zu meiner Naturaffinität gelegt“, sagt der Naturhotelier.
Für seine Leidenschaft zum Kochen verließ er das elterliche Nest, die Tiere und seine Freunde und sah ein ganzes Stück von der Welt. Bei Romantikhotel Staffler im Eisacktal kochte er unter einem Michelin-Stern. Der vielfach ausgezeichnete Gourmetkoch Christian Jürgens aus Bayern gehörte zu seinen Förderern und öffnete ihm die Tür zu einer internationalen Karriere. Aber mit den Jahren kräftigte sich Hannes Wunsch, den Betrieb seines Vaters fortzuführen. Er kehrte zurück nach Ratschings.
Zwischen Bach, Wald und Wiese war schnell klar, wie der Koch das Hotel neu gestalten würde: „Naturhotel, das ist das, was wir sind – das was mein Opa gelebt hat und mein Vater, und was ich nun lebe. Ich weiß, dass ich dreißig oder vierzig Jahre lang das Naturhotel mit meiner Frau gemeinsam führen will.“
Seit der Beschluss steht, schlägt der Naturgedanke Wurzeln, verzweigt sich und wächst. Alles, was Rainer angreift, füllt das Label „Naturhotel“ mit Leben. Eine ganze Kette an Fragen tut sich auf: Handle ich nachhaltig? Warum verwende ich jenes Holz? Warum diesen Stein? Warum nehme ich dieses Produkt in der Küche, warum diesen Wein in der Bar?
Man könnte meinen, diese Haltung mache vieles komplizierter. Für Rainer war es genau umgekehrt. An den Leitplanken der Natürlichkeit fand er Orientierung. Die Richtung macht ihm Spaß: „Sobald du auf der Naturschiene bist, geht es auch leichter für dich. Da musst du nicht mehr den anderen nachlaufen. Da hast du weniger Stress.“
Entspannt aber stetig setzt das Naturhotel neue Schritte. Hannes bleibt in Bewegung. Nachdem nun das Hotel zum Klimahotel gekürt wurde, nachdem das Brot wieder aus dem eigenen Roggen gebacken wird, erhält das Naturhotel ein neues Antlitz aus Holz und Glas. „Wir müssen weitermachen, wir können uns immer verbessern. Das ist der Weg für die Zukunft.“